Mindelheimer Kunstsprechstunde: Eine Art „Bares für Rares“ für die Bürger des Landkreises

2023-02-28 14:41:12 By : Ms. Cecy Yan

Mindelheim – Ältere Menschen befürchten oft, dass im Falle ihres Ablebens ihre liebgewonnenen Dinge bei einer Wohnungsauflösung im Container landen. Die Nachfolgegenerationen können häufig nicht viel mit dem „alten Kruscht“ anfangen oder bezweifeln gar, dass das heißgeliebte Ölgemälde der Oma wirklich so viel wert ist, wie die Oma immer behauptete. Doch um den pekuniären Wert geht es gar nicht, findet Kulturamtsleiter Christian Schedler, der in seiner wöchentlichen Kunstsprechstunde eine ganz klare Mission verfolgt. 

Als Frank Meinert aus Bad Wörishofen am vergangenen Donnerstag in die Kunstsprechstunde von Christian Schedler kam, hatte er drei Gegenstände dabei: die altertümlich anmutende Bronzefigur eines Rebhuhns, ein Ölgemälde sowie ein altes Lexikon. Auch Meinerts Eltern haben die Befürchtung, dass all ihre Perserteppiche und Ölgemälde irgendwann im Container landen. Ein Familienerbstück liegt Meinert besonders am Herzen: Ein Ölgemälde, das nach Auskunft seiner Eltern besonders wertvoll ist. Christian Schedler nahm es deshalb als erstes unter die Lupe.

Zunächst inspizierte Schedler den Rahmen des Bildes und befand, dass dieser sehr aufwendig hergestellt worden sei in einer Kombination aus Holz und einem darauf gepressten Stuck. Als er das Bild umdrehte, bemerkte er, dass das Ölgemälde zugunsten des Rahmens verkleinert wurde. Normalerweise ginge der Himmel oben noch weiter.

Schedler betrachtete das Bild genau und warf Satzfragmente in den Raum: „Eine Originalsignatur, flotte Malerei, der hat´s gekonnt. Man glaubt, das Bild geht in die Tiefe, wir haben sogenannte verblauende Gebirge. Das Bild steht in der Tradition der romantischen Landschaftsmalerei“, so Schedlers erstes Fazit. Der Maler war nach seiner Einschätzung gut ausgebildet und hatte einen Blick für ansprechende Motive. Das Bild stamme vermutlich aus der späteren Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die gemalte Landschaft, so Schedler, könnte ein Mittelgebirge sein. „Der Harz!“, warf Meinert spontan ein, dessen Familie aus selbigem Mittelgebirge stammt. Der Künstler, ein gewisser M. Henschke, sagte Schedler zunächst nichts. Als er Rat im Standardwerk des Gründ Verlags „Benezit – Dictionary of Artists“ suchte, wurde er nicht fündig. Für Frank Meinert war das schonmal die erste Ernüchterung, denn seine Mutter hatte behauptet, ein Bild desselben Künstlers bereits in der Fernsehsendung „Bares für Rares“ gesehen zu haben. Dort wurde das Bild angeblich mit einem unteren fünfstelligen Betrag bewertet. Im Internet machte Schedler dann eine interessante und gleichermaßen desillusionierende Entdeckung: Nahezu das gleiche Bild wurde bei Ebay Kleinanzeigen für 600 Euro angeboten. Wie konnte das sein? Schedler schmunzelte und klärte auf:

Der Künstler war offenbar darauf angewiesen, von der Kunst zu leben. Im 20. Jahrhundert sei es nicht unüblich gewesen, dass solche Künstler in Serie malten. „Die haben oft fünf Leinwände nebeneinander gehabt und immer wieder das gleiche Motiv gemalt“ so Schedler. Schedlers Resümee: „Der Künstler konnte malen. Er hat die Landschaft schön wiedergegeben und interpretiert, aber es ist kein großes Kunstwerk.“ Schedler schätzte den Wert auf 300 bis 400 Euro – für Frank Meinert eine Ernüchterung. „Die Wertbeständigkeit von Landschaftsmalereien ist gerade schwierig“, erklärte Schedler.

Als Nächstes war die Bronzefigur dran. Sie sah auf den ersten Blick vielversprechender aus, denn sie trug die Signatur eines Künstlers, den Schedler in seinem Lexikon fand: Jules ­Moigniez. Bei derartigen Skulpturen unterscheide man zunächst zwischen Gelbguss (Messing) und Rotguss (Bronze), klärte Schedler auf.

Die Figur hatte einen Gelbstich, was zunächst auf einen Gelbguss schließen ließ. Doch ein Blick durch die Lupe gab Aufschluss. Schedler reichte die Lupe weiter und forderte Meinert auf, sich selbst ein Bild zu machen. „Was fällt Ihnen auf?“, fragte der Kulturamtsleiter seinen Klienten. „Die Farbe blättert ab“, entgegnete Meinert. Damit stand fest, dass das Rebhuhn lackiert wurde. Die abbröckelnden Schichten waren gut zu erkennen.

Schedlers Konklusion: Es handelt sich um eine sehr schöne, dekorative Skulptur, die nach einer Originalskulptur angefertigt wurde, um einen großen Kunstmarkt zu bedienen. „So konnte sich auch der Normalbürger Kunst leisten“, erklärte Schedler. Aufgrund der Art und Weise, wie die Gräser modelliert sind, geht Schedler davon aus, dass das Original ungefähr aus dem Jahr 1890 stammt. „Es geht in Richtung Jugendstil“, sagt Schedler. Die Figur wurde laut Schedler seriell in einem Spritzgussverfahren aus Zink hergestellt, ist mit einem messingfarbenen Überzug versehen und wurde zusätzlich lackiert. „Das ist eine extrem raffinierte Geschichte“, gestand Schedler, der auf den ersten Blick ein Original nicht ausschloss. „Man hat das Original abgeformt, deshalb ist auch der Schriftzug des Künstlers drin.“ Den Wert schätzte Schedler auf 200 bis 300 Euro. Das Lexikon, das Frank Meinert dabei hatte, stammt aus dem Jahr 1890 und besteht aus 16 Bänden. „Diese Lexika waren extrem ambitionierte Werke, denn in ihnen war das gesamte Wissen vereinigt“, so Schedler. Das Lexikon wurde sehr aufwendig hergestellt: Kantenschoner aus Leder, Prägerücken mit eingeprägten Buchstaben und Ornamenten, Farbdrucken (Chromolithografien) sowie eine aufgeprägte Goldfolie. Das Lexikon ist in einem guten Zustand, dennoch sieht Schedler ein Problem: Es wurde aus holzhaltigem Papier hergestellt. „Das entwickelt durch das Klebematerial Säure und zerstört sich irgendwann selbst“, so der Kreisheimatpfleger. Die ersten Verbräunungen, die an Altersflecken erinnern, seien laut Schedler ein Zeichen für einen beginnenden Papierfraß. Den Marktwert schätzt Schedler auf fünf Euro pro Band.

Den großen Reibach wird Frank Meinert mit seinen Erbstücken in spe also nicht machen. Doch er darf sich gewiss sein, dass er im Besitz von aufwendig hergestellten und schönen Gegenständen ist. „Weil es derzeit keinen Markt für diese Dinge gibt, haben sie keinen pekuniären Wert, aber sie sind trotzdem kostbar. Vielen Menschen fehlt dafür das Verständnis“, sagt Schedler, dessen Mission es ist, Menschen für kostbare Gegenstände zu sensibilisieren. Auch hierfür diene die Kunstsprechstunde, die von der Stadt Mindelheim und dem Landkreis finanziert wird. Schedlers Devise zur Bewertung von Kunst: „Es ist wie mit Wein: Egal, wie teuer er ist, entweder er schmeckt oder er schmeckt nicht.“

Die Kunstsprechstunde findet fast jeden Donnerstag ab 14.30 Uhr im Kulturamt (Hermelestraße 4) statt. Bewohner des Landkreises können diesen Dienst kostenlos wahrnehmen, sollten sich vorher allerdings anmelden unter Tel. 08261/909760 oder per Mail an kulturamt@mindelheim.de.